Selbstbestimmt verbunden?
Wir Menschen tragen in uns unter anderem zwei psychologische Grundbedürfnisse: Jenes nach Verbundenheit und jenes nach Selbstbestimmung. Verbundenheit meint, dass wir einen Drang dazu haben, soziale Beziehungen aufzubauen und uns auszutauschen. Das Bedürfnis nach Selbstbestimmung hingegen ist unser Drang danach unsere eigenen Gedanken und Vorstellungen zu entwickeln und diesen Willen in der Welt auszudrücken. Beide Bedürfnisse haben eine Ausrichtung nach außen und eine nach innen. Während die Verbundenheit zu anderen nach außen gerichtet ist, ist jene nach innen, die Verbundenheit mit uns selbst. Die nach außen gerichtete Selbstbestimmung bezieht sich darauf wie wir unser Leben ausleben, die nach innen darauf, wie frei wir von fremden Gedanken und Überzeugungen denken und fühlen können.
Oft erscheinen diese Bedürfnisse wie reine Gegenspieler, welche gegeneinander ausbalanciert werden müssen. In der Realität ist jedoch ein qualitatives Gleichgewicht wichtiger, als ein quantitatives. Qualitatives Gleichgewicht bedeutet hier, dass wir, wenn wir uns verbunden fühlen, uns gleichzeitig gut bezüglich unserer Selbstbestimmung oder zumindest neutral fühlen. Ebenso wichtig ist es, dass wir uns mit uns selbst verbunden fühlen, wenn wir unserer Selbstbestimmung nachgehen – andernfalls gehen wir eher den Vorstellungen anderer nach als unseren eigenen.
Aus dem Gleichgewicht zu geraten würde beispielsweise bedeuten, eine Partnerschaft einzugehen, durch die man selbst vollkommen unterdrückt wird und keine Möglichkeit des eigenen Ausdrucks mehr findet. Dann würde man zwar eine ganz nahe Verbundenheit spüren, aber keine Selbstbestimmung mehr. Menschen die diese problematischen Beziehungen eingehen nehmen dann oft plötzlich Nähe als gefährlich war und suchen dann Distanz – dabei war es von Anfang nicht die Nähe, sondern die Qualität der Nähe, welche problematisch war.
Ein anderes Beispiel wäre jemand, der jede freie Minute mit Leistung gestaltet, um so ein besonders selbstbestimmtes Leben zu führen, im Gegenzug dafür aber sozial isoliert und nicht verbunden lebt. Ein solches Leben wird uns Menschen nicht gerecht und führt zu Symptomen. Dabei ist das Problem nicht die Selbstbestimmung oder die Leistung, sondern die radikale Qualität dieses Lebensstils.
Emotionsregulation – Ich hasse Dich, verlass mich nicht.
Menschen, die in ihrer Kindheit – also der Phase der Entwicklung des Umgangs mit unseren Emotionen – nicht gelernt haben ihre eigenen Gefühle zu differenzieren haben Schwierigkeiten damit, diese in Graustufen einzuteilen und teilen diese gern in schwarz und weiß ein. Das liegt vermutlich daran, dass dies der Grundmodus des Kindes ist. Ein kleines Kind empfindet eine Emotion immer in ihrer vollen Stärke, durchdringend und impulsiv. Wer kennt nicht die Szene, wenn ein Kind auf dem Spielplatz hinfällt und zu schreien und trauern vermag, wie wir als Erwachsene nur noch, wenn uns ein geliebter Mensch plötzlich verstirbt.
Diese Fähigkeit zur Emotionsregulation fußt auf der Einordnung unserer Gefühle. Diese Fähigkeit erlernen wir dadurch, dass wir (bzw. unsere Eltern) unserem starken Gefühl Worte zuordnen. Worte für ein diffuses Gefühl zu haben ist die Grundlage um über diese nachzudenken. Gefühle werden durch Worte greifbarer und analysierbar. Sie können nun bewertet, eingeordnet und zu philosophischen Konzepten zugeordnet werden. Dieser Prozess sollte in der Kinder- und Jugendzeit kontinuierlich und intensiv stattfinden um die Fähigkeit zur Emotionsregulation zu erwerben.
Im Erwachsenenalter muss da an manchen Stellen noch nachgearbeitet werden. Dies gelingt indem die schwierigen Gefühle – beispielsweise der Angst vor Nähe, oder des nicht Aushaltens von Distanz – ausgehalten werden. Diese Gefühle müssen akzeptiert werden und über diese reflektiert werden, um ihnen Worte zuzuordnen. Dieser Prozess ist zwar schwierig und schmerzhaft, doch umso öfter wir dies tun, umso leichter ist eine solche Reflexion.
Umso mehr wir uns mit unserem Innenleben auf diese Weise beschäftigen umso mehr sind wir in der Lage Nähe und Distanz nicht mehr primitiv als Gegenspieler einzuschätzen, sondern können beide Bedürfnisse miteinander verbinden.
Qualitatives Gleichgewicht
Ein gutes Gleichgewicht zwischen beiden Bedürfnissen gelingt uns dann, wenn wir versuchen beide Bedürfnisse gleichzeitig zu erfüllen und uns zu reflektieren, ob wir vielleicht ein Bedürfnis auf Kosten des anderen zu erfüllen versuchen. Beispiele dafür sind eine unterdrückerische Beziehung, bei der wir ganz viel Nähe erleben, die aber auf Kosten der Selbstbestimmung geht, oder wenn wir als sozial isolierte Leistungsmaschinen leben.
Dieses Gleichgewicht erlangen wir durch Achtsamkeit in dem Umgang mit uns selbst. Wir müssen uns beobachten und schauen, welches Verhalten in uns welche Bedürfnisse erfüllt und welche es frustriert. Positive Beispiele wären, eine Beziehung, welche intim und authentisch ist und sich beide Partner liebevoll in ihren jeweiligen Leben unterstützen , oder eine selbstbestimmte Karriere, die erfüllt von guten authentischen geschäftlichen und privaten Beziehungen ist.
Fazit
- Die Bedürfnisse nach Verbundenheit und nach Selbstbestimmung sind natürlich
- Oft werden diese als Gegenspieler wahrgenommen, sie sind es aber nicht
- Kleine Kinder sind noch nicht in der Lage Gefühle gut zu differenzieren, da ihre Emotionsregulation noch nicht gut ausgeprägt ist
- Wenn die Fähigkeit zur Differenzierung nicht gut ausgeprägt wird, neigt man zu Schwarz-Weiß-Denken
- Differenzieren lernt man durch
- Akzeptanz der eigenen Gefühle: Fühlen und Aushalten
- Rationale Analyse: Zuordnung zu Worten, Konzepten und Bewertungen
- Gleichgewicht kann gehalten werden, indem beide Bedürfnisse gleichzeitig erfüllt werden und Verhalten vermieden wird, dass Bedürfnisse frustriert
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